Enni Janesch erinnerte an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl an Heimatverlust und Heimatsuche

Ein langer Fackelzug angeführt von der Knabenkapelle bewegte sich Pfingstsonntag durch die Straßen in Dinkelsbühl. Ziel war die vor 50 Jahren eingeweihte Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in der Lindenallee der Alten Promenade, die an die Opfern von Krieg, Verfolgung, Flucht und Vertreibung erinnern soll. Dort hielt die Vorsitzende der Drabenderhöher Kreisgruppe und ehemalige Bundesfrauenreferentin Enni Janesch die traditionelle Gedenkrede, die sehr persönlich war und viel Anklang fand.

Für Enni Janesch war es „eine große Ehre“ an diesem Tag die Rede halten zu dürfen, die hier leicht gekürzt wiedergegeben wird:

Am letzten Abend des Heimattages treffen wir uns seit einem halben Jahrhundert nach Tagen der Wiedersehensfreude, vollgepackt mit fröhlichen und besinnlichen Veranstaltungen, hier in dieser Allee mit den alten Linden, die zu einem Dom zusammengewachsen sind. Für uns Siebenbürger Sachsen ist dieser „Lindendom“ ein ganz besonderer Ort: Hier wurde vor 50 Jahren, am Heimattag 1967, unsere Gedenkstätte eingeweiht, als Ort des Gedenkens und des Besinnens, um der deutschen Söhne und Töchter Siebenbürgens zu gedenken, die in zwei Weltkriegen und in den schweren Nachkriegsjahren ihr Leben ließen.

Viele von ihnen ruhen in fremder Erde, ihre Gräber sind unbekannt, verstreut in Dutzenden von Ländern. Auf den steinern Blöcken stehen dafür die vier Himmelsrichtungen: „im Osten“, „im Süden“, „im Westen“ und „im Norden“, sowie die Worte „hinter Stacheldraht“, „auf der Flucht“ und „in der Heimat“ eingemeißelt. Auf dem monumentalen Mittelblock im Innern der Anlage sind symbolisch die Söhne und Töchter Siebenbürgens dargestellt, die in den zwei Weltkriegen und in den Nachkriegsjahren des 20. Jahrhunderts ums Leben kamen.

Die Erbauer wollten keine Stätte hoffnungsloser Trauer und auch kein Krieger- oder Heldendenkmal schaffen, sondern einen Ort stiller Einkehr, um die Toten an würdiger Stelle zu ehren und den Lebenden die Möglichkeit zu geben, sich mit jenen verbunden zu fühlen, mit denen sie fröhliche und schwere Stunden verbracht hatten.

„Eine der schönsten Parkanlagen des Frankenlandes“ wie es in der Siebenbürgischen Zeitung vom 31. Juli 1966 hieß, hatte der Rat der Stadt Dinkelsbühl den Siebenbürger Sachsen für die Gedenkstätte überlassen. Bei der Einweihungsfeier versprach Bürgermeister Dr. Friedrich Höhenberger die Gedenkstätte offiziell in die Obhut der Stadt Dinkelsbühl zu übernehmen. Mit Handschlag bekundete er dem Bundesvorsitzenden Erhard Plesch: „dass wir für unsere Freunde, die Siebenbürger Sachsen, dieses Fleckchen Erde hüten werden. Möge die Gedenkstätte noch nach Generationen nicht nur an das Vermächtnis der Toten mahnen, sondern auch zeugen von der Freundschaft, die Dinkelsbühl mit seinen Siebenbürger Sachsen verbindet.“ Diese Freundschaft haben auch Bürgermeister Dr. Jürgen Walchshöfer und Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer bei den Gedenkfeiern zum 30. bzw. 40. Jubiläum bekräftigt.

Seit 50 Jahren ist die Dinkelsbühler Knabenkapelle bei den Gedenkfeiern dabei. Sie führt den langen Fackelzug vom Zentrum der schönen Altstadt durch das Segeringer Tor, in den Lindendom bis hin zur Gedenkstätte und gibt dann der Gedenkfeier mit dem Großen Zapfenstreich einen feierlichen und würdigen Rahmen. Wie ein Blumenmeer sah die Gedenkstätte aus mit den Kränzen und Gebinden von Nachbarschaften, Heimatortsgemeinschaften, Kreisgruppen und Privatleuten. Damit wollen diese einerseits an die Verstorbenen ihres Ortes oder ihrer Familie erinnern, andererseits sich in das Gedenken der Gemeinschaft einreihen. So war es auch von Anfang an geplant – die Gedenkstätte – ein Ort des kollektiven Gedenkens für alle Siebenbürger Sachsen.

Die Männer und Frauen hatten das Elend und das Grauen des Krieges überlebt, wünschten sich Frieden und Versöhnung zwischen den Völkern. Mit der Gedenkstätte wollten sie eine Brücke aus der Vergangenheit in die Zukunft spannen und die nachfolgenden Generationen aufrütteln, nie mehr zuzulassen, was geschehen war! „Nie wieder Krieg“ galt damals sowie heute, hier an diesem Mahnmal, „dem Symbol unserer Geschichte“.

Im Ersten Weltkrieg hatten etwa 10 Millionen Menschen ihr Leben verloren, im Zweiten waren es um die 60 Millionen. Für den Volksstamm der Siebenbürger Sachsen führten der Zweite Weltkrieg, der Nationalismus und der Kommunismus zu den gravierendsten Veränderungen in ihrer 900-jährigen Geschichte. Die deutsche Bevölkerung war von einst einer viertel Million Siebenbürger Sachsen auf etwa 150.000 geschrumpft. Durch die Teilnahme der jungen Männer am Krieg, die Evakuierung und Flucht der Siebenbürger Sachsen aus Nordsiebenbürgen und einigen Gemeinden Südsiebenbürgens und die Deportation von jungen Frauen und Männern in die Sowjetunion hatten fast 100.000 Menschen ihre Heimat verlassen. Beinahe jede Familie musste Opfer beklagen.

Die Großeltern meines Mannes verabschiedeten vier Söhne in den Krieg, von denen einer als vermisst gilt, die anderen drei kehrten nicht mehr in die Heimat zurück. Ihre Tochter wurde 1945 nach Russland deportiert und kam nach fünf Jahren Schwerstarbeit mit einer lebenslangen Krankheit nach Siebenbürgen zurück. Der Großvater verstarb 1951, die Mutter blieb allein mit der kranken Tochter und kümmerte sich auch noch um die Enkelkinder aus drei Familien der Söhne. Mutter und Tochter kamen 1970 zum Sohn/dem Bruder nach Deutschland, wo sie die letzten Jahre ihres Lebens ohne Not verbringen konnten – eine Familiengeschichte wie es sie mit Variationen zu Tausenden gab!

Die deutsche Bevölkerung in Rumänien litt unter dem Entzug der bürgerlichen Rechte, der Enteignung, und den Schikanen der kommunistischen Diktatur. Was jedoch am meisten schmerzte, war die Trennung der Familien und der Verlust der Freiheit. Durch die Familienzusammenführung erhofften sich die Menschen eine bessere Zukunft in Frieden. Nach schwerem Ringen um „Bleiben oder Gehen“ und vielen Widrigkeiten des rumänischen Staates reisten sie in die Bundesrepublik aus. Als dann nach dem Sturz der Diktatur die Wende erfolgte und die Grenzen geöffnet wurden, verließen fast 100 000 Sachsen, die jahrzehntelang auf den „Pass“ gewartet hatten, innerhalb von zwei Jahren das Land. Sie hatten das Vertrauen in den Staat, von dem sie so lange enttäuscht worden waren, verloren. Schutz und Hilfe in diesen schweren Zeiten hatte die Evangelische Kirche den Menschen geboten. Unter ihrer Obhut und mit Hilfe mutiger Männer und Frauen war es gelungen die Gemeinschaft zu stärken und zu erhalten.

Diejenigen Siebenbürger Sachsen, die nicht mehr in ihre Heimat zurückgekehrt waren, lebten verstreut im Westen. Mit „ungebrochenem Lebenswillen“, wie es damals hieß, suchten sie einander, trösteten sich und halfen sich gegenseitig. Sobald es möglich war, wurde 1947 das Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen (später: und Banater Schwaben) als Hilfsverein gegründet und 1949 der Verband der Siebenbürger Sachsen, später die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen. Beide Organisationen arbeiteten eng zusammen, beide mit dem Ziel, den Menschen in den schweren Zeiten in der Fremde eine Stütze zu geben und bei der Heimatfindung zu helfen. Dabei wurden die Menschen in Siebenbürgen nie vergessen, ihnen galt ebenso ihre Fürsorge und Hilfe.

Die Lebensbedingungen waren in den Nachkriegsjahren überall katastrophal, die Bevölkerung hungerte und fror in den ausgebombten Häusern. Am schwierigsten jedoch war die Lage in Österreich. Dort waren viele Siebenbürger Sachsen gestrandet: die aus Nordsiebenbürgen Geflüchteten, Soldaten, die nach Ende des Krieges in amerikanische Gefangenschaft geraten waren und die 1945 aus Siebenbürgen nach Russland deportierten Frauen und Männer, die aus Krankheitsgründen in Ostdeutschland entlassen worden waren. Auf dem Weg nach Siebenbürgen trafen sie in Österreich ihre Landsleute, einige hatten das Glück dort Familienmitglieder anzutreffen. Heimatlos, recht- und arbeitslos lebten sie alle unter unwürdigen Zuständen in Barackenlagern. Die Wenigen, die nach Siebenbürgen wiederkehrten, erwarteten massive Repressalien des rumänischen Staates.

Für die anderen begann die Zeit der Heimatsuche! Eine große Gruppe von etwa 10 000 Menschen wurde 1953 im Rahmen der „Kohleaktion“ in das Ruhrgebiet umgesiedelt. Durch Verhandlungen mit westdeutschen Regierungsstellen und Bergwerksgesellschaften war es gelungen Arbeitskräfte zu vermitteln. Am 17. März 1953 traf der erste Sammeltransport im Ruhrgebiet ein. Einst siebenbürgische Bauern, es waren 70 % der Bewerber, und Handwerker, Kaufleute, Lehrer und Pfarrer arbeiteten von nun an als Kumpel im „Pütt“. Die Arbeit untertage war schwer und ungewohnt, ermöglichte jedoch den Familien einen gesicherten Lebensunterhalt und Unterkunft in neuen Häusern.

Auch mein Vater gehörte zu denen, die 1953 ins Ruhrgebiet kamen. Als gelernter Kaufmann arbeitete er 12 Jahre unter Tage bis er wieder seinen erlernten Beruf ausüben konnte.

In den von den Bergwerksgesellschaften errichteten Siedlungen in Herten-Langenbochum, Oberhausen-Osterfeld und in Setterich bei Aachen entstanden die ersten geschlossenen siebenbürgischen Siedlungen. Die Neusiedler hatten in ihrem unsichtbaren Gepäck ihre Traditionen und ihr Brauchtum aus Siebenbürgen in das Ruhrgebiet mitgebracht. Es entwickelte sich ein reges kulturelles Leben mit neugegründeten Kreisgruppen, Blaskapellen, Chören, Frauenvereinen, Jugendgruppen und Volkstanzgruppen.

Das Arbeitsverhalten der neuen Siedler und ihr Integrationswille bei Erhaltung ihres kulturellen Erbes brachten ihnen Achtung und Anerkennung ein. Die gelungene Eingliederung sowie der Umstand, dass die Urheimat der Siebenbürger Sachsen zum größten Teil auf dem Gebiet von NRW lag, führten zur Übernahme der Patenschaft durch das Land NRW, die am 26. Mai 1957 im Düsseldorfer Landtag feierlich verkündet wurde.

60 Jahre Patenschaft des Landes NRW – die Siebenbürger Sachsen sind dem Land NRW für die Förderung in all den Jahren dankbar. Ohne die Unterstützung durch das Patenland hätte auch die größte Siebenbürger-Sachsen-Siedlung in Drabenderhöhe mit ihren Gemeinschaftseinrichtungen nicht gebaut werden können.

Mein Mann und ich waren bei der Einweihungsfeier 1966 dabei, als Robert Gassner aussprach, was sich viele der Heimatsuchenden wünschten: „Wir sind daheim!“ Mehrere Tausend Siebenbürger Sachsen haben mit ihren Familien in Drabenderhöhe und in der Stadt Wiehl ein neues Zuhause gefunden. Sie fühlen sich angenommen und daheim. Ebenfalls heimisch geworden sind unsere Landsleute in Oberösterreich in Kanada, hauptsächlich im Raume von Kitchener, in Amerika und in den Ländern der Bundesrepublik.

Seit fast 30 Jahren gibt es nun keine Grenzen mehr, die uns trennen. Von überall her kommen die Siebenbürger Sachsen, Jung und Alt, zu Pfingsten nach Dinkelsbühl, in die Stadt, wo wir uns wie zu Hause fühlen, wo wir Freunde und Nachbarn treffen und wo wir uns verändert erneuern und wiederfinden.

Wir werden uns auch beim Sachsentreffen im August begegnen. Mit dem Motto des Sachsentages „In der Welt zuhause – in Siebenbürgen daheim“ sind alle herzlich nach Hermannstadt eingeladen. Ein Wiedersehen wird es auch beim gemeinsamen evangelischen siebenbürgischen Kirchentag im September in Kronstadt geben. Hier an dieser Gedenkstätte, einem Bindeglied von Generation zu Generationen, so wie es sich unsere Vorfahren gewünscht hatten, treffen wir uns heute um der Toten zu gedenken, aber auch um zu danken, dass wir in Frieden und Freiheit leben können. Es gab noch nie eine so lange Periode des Friedens und Wohlstands in Europa. Aber Frieden ist nicht immer und überall. Täglich stürmen erschütternde Bilder von Krieg, Gewalt, Elend und Hungersnot aus der ganzen Welt auf uns ein.

Bilder von Flüchtlingsströmen und Anschlägen von Terroristen in unserer unmittelbaren Nähe machen uns Angst. Aber Angst ist kein guter Ratgeber und hilft nicht weiter. Was wir brauchen sind Zeichen der Hilfsbereitschaft und der Toleranz. Gerade jetzt bedarf es der Menschen, die sich mutig für demokratische Werte einsetzen, und es bedarf Gottes Segen. Deshalb schließe ich mit einem Gebet von Martin Luther, der durch die Reformation vor 500 Jahren die Welt verändert hat und dessen Leben und Werk in diesem „Lutherjahr“ gewürdigt wird.

„Verleih uns Frieden gnädiglich
Herr Gott zu unsern Zeiten.
Es ist doch ja kein anderer nicht,
der für uns könnte streiten, denn du, unser Gott, alleine.“

Ja, Gott, wir bitten dich: „Verleih uns Frieden gnädiglich“, heute und in Zukunft, weil wir wissen, wie zerbrechlich der Frieden sein kann.

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